
Der Sündenbock im Team – Dynamiken und Folgen seines Weggangs
In vielen Teams gibt es eine Person, die unbewusst die Rolle des Sündenbocks einnimmt. Diese Person wird für Konflikte, Fehler oder Spannungen verantwortlich gemacht, selbst wenn die Ursachen tiefer in der Teamdynamik liegen. Der Sündenbock dient als Ventil für unausgesprochene Frustrationen, strukturelle Probleme oder ungelöste Konflikte. Doch warum passiert das immer wieder, und was geschieht, wenn der Sündenbock das Team verlässt?
Warum gibt es einen Sündenbock?
Teams sind soziale Systeme, in denen sich unausgesprochene Erwartungen, Machtstrukturen und emotionale Spannungen manifestieren. Wenn ein Team mit Herausforderungen konfrontiert ist, kann es dazu neigen, einen einzelnen Menschen als Problemverursacher zu identifizieren, anstatt sich mit den eigentlichen Ursachen auseinanderzusetzen. Dies kann aus verschiedenen Gründen geschehen:
- Konfliktvermeidung: Anstatt schwierige Themen offen anzusprechen, wird die Verantwortung auf eine Person projiziert. Das Team entzieht sich dadurch der Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Problemen.
- Gruppenzusammenhalt durch Abgrenzung: Die Abwertung eines Teammitglieds stärkt paradoxerweise die Identität und den Zusammenhalt der übrigen Gruppe. Die übrigen Teammitglieder positionieren sich dadurch vermeintlich auf der „richtigen“ Seite.
- Unklare Führung: Wenn die Leitung nicht klar kommuniziert oder moderiert, entsteht Raum für unbewusste Dynamiken. Die fehlende Struktur verstärkt die Suche nach einem Sündenbock.
- Angst vor Selbstreflexion: Sich mit eigenen Schwächen oder Fehlern auseinanderzusetzen, kann unangenehm sein. Es ist leichter, das Problem auf eine andere Person zu schieben, als sich der Verantwortung zu stellen.
- Vergleichbare Muster in anderen sozialen Kontexten: Manche Teammitglieder kennen diese Dynamik aus anderen sozialen Kontexten, etwa der Familie oder früheren Arbeitsgruppen. Dies kann dazu führen, dass bestimmte Verhaltensweisen unbewusst wiederholt werden.
Die Perspektive des Sündenbocks
Für die betroffene Person ist diese Rolle oft extrem belastend. Sie sieht sich ständig mit Kritik konfrontiert, wird nicht gehört oder als unfähig dargestellt. Der Druck kann zu Selbstzweifeln, Frustration oder Rückzug führen. In vielen Fällen versuchen Sündenböcke zunächst, sich anzupassen, um Akzeptanz zu erlangen. Doch oft gelingt das nicht, da das Problem nicht in ihrer Person, sondern in der Teamdynamik liegt.
Die psychologischen Folgen können erheblich sein: Stress, Angst und ein gesenktes Selbstwertgefühl sind häufige Begleiterscheinungen. In extremen Fällen kann es sogar zu Burnout oder dem Wunsch kommen, das Unternehmen zu verlassen.
Was passiert, wenn der Sündenbock geht?
Der Weggang des Sündenbocks bedeutet nicht automatisch eine Verbesserung des Teamklimas. Oft geschieht Folgendes:
- Kurze Erleichterung: Zunächst scheint es, als sei das Problem gelöst. Die Konflikte flauen ab, und das Team fühlt sich vorübergehend stabiler. Manchmal wird der Weggang des Sündenbocks sogar als Erfolg gefeiert.
- Neue Spannungen: Ohne den Sündenbock müssen sich die Teammitglieder mit den eigentlichen, bisher verdeckten Problemen auseinandersetzen. Diese können sich als größer und komplexer herausstellen, als es zuvor erschien.
- Neuer Sündenbock: Wenn die zugrunde liegenden Strukturen und Kommunikationsmuster unverändert bleiben, sucht sich das Team unbewusst eine neue Person, die in die alte Rolle gedrängt wird.
- Chance auf Veränderung: Falls die Führung oder das Team bewusst reflektiert, kann dieser Moment genutzt werden, um die Gruppendynamik nachhaltig zu verbessern. Dafür braucht es allerdings Mut und den Willen zur Selbstreflexion.
Was kann man tun, um diese Dynamik zu durchbrechen?
- Bewusstsein schaffen: Der erste Schritt zur Veränderung ist das Erkennen des Musters. Teams sollten sich regelmäßig fragen, ob sie bestimmte Personen unfair behandeln oder ob Konflikte nicht offener angesprochen werden können.
- Offene Kommunikation fördern: Ein Klima zu schaffen, in dem Meinungen und Probleme ohne Angst geäußert werden können, hilft, verdeckte Spannungen sichtbar zu machen. Regelmäßige Feedback-Runden oder Mediation können dabei helfen.
- Führungskräfte einbinden: Eine gute Führungskraft erkennt solche Muster und sorgt für einen offenen, transparenten Umgang mit Konflikten.
- Perspektiven wechseln: Sich in die Lage der als Sündenbock abgestempelten Person zu versetzen, kann helfen, Empathie zu entwickeln und unbewusste Vorurteile abzubauen.
- Konstruktive Fehlerkultur etablieren: Fehler sollten nicht als Gelegenheit genutzt werden, jemanden zu beschuldigen, sondern als Lernmöglichkeit für das gesamte Team gesehen werden.
- Externe Unterstützung holen: Wenn sich die Dynamik nicht auflösen lässt, kann eine externe Moderation oder ein Coaching helfen, neue Perspektiven zu gewinnen und Muster zu durchbrechen.
Ein Sündenbock ist selten das eigentliche Problem, sondern ein Symptom für tieferliegende Herausforderungen im Team. Nachhaltige Veränderungen entstehen nur, wenn diese Muster erkannt und aktiv verändert werden. Offene Kommunikation, Reflexion und bewusste Führungsarbeit sind der Schlüssel, um destruktive Dynamiken aufzubrechen und langfristig ein gesundes Arbeitsklima zu schaffen.
Die Herausforderung liegt darin, mutig hinzusehen und Verantwortung für das Miteinander zu übernehmen. Wenn ein Team bereit ist, sich den eigenen Dynamiken zu stellen, kann es daraus gestärkt hervorgehen und eine echte, wertschätzende Zusammenarbeit entwickeln.